10.2 Der Konjunktiv im Deutschen


10.2.1 Der Konjunktiv in der indirekten Rede

Das Hauptanwendungsgebiet des deutschen Konjunktivs ist die indirekte Rede. Man sollte sich klar machen, dass er in den romanischen Sprachen genau hierfür NICHT verwendet wird. Die romanischen Sprachen behandeln die indirekte Rede als einen Sonderfall der Consecutio temporum, das ist hier aber erstmal egal, weil wir uns die consecutio temporum (die Zeitenfolge) der romanischen Sprachen noch ausführlich anschauen werden.

Wem nicht klar ist, was wir unter indirekter und direkter Rede verstehen. Die direkte Rede gibt das von einem dritten Gesagte genau so wieder, wie dieser es sagte.

Carmen sagte: "Maria ist im Kino gewesen."

Diese Art der Wiedergabe ist praktisch nur schriftlich möglich und ist auch hier selten zu finden. Mündlich, also in der indirekten Rede, muss die Aussage so wiedergegeben werden.

Carmen sagte, dass Maria im Kino gewesen sei.
Carmen sagte, Maria sei im Kino gewesen.

Die Grundregel, die festlegt, wie der Konjunktiv in der indirekten Rede einzusetzen ist, ist so einfach wie praktisch schwer durchführbar, die Grundregel besagt schlicht, dass das Berichtete im Konjunktiv I steht.

direkte Rede: Er sagte:" Ich kaufe dir ein Auto".
indirekte Rede: Er sagte, dass er ihm ein Auto kaufe.

Auf die Bildung des Konjunktivs I gehen wir hier nicht ein, es sind Formen wie "er sei", " sie wisse", "er baue" etc. Wer sich dafür interessiert, kann auf die Schwesterseite dieser Seite gehen, also zu dem Kurs, der Deutsch für Menschen mit italienisch Muttersprache aufbereitet (www.tedesco-online.de) und dort zu diesem Kapitel. Probleme gibt es nun Stücker drei, im Deutschen, die die romanischen Sprachen beide nicht haben, sie haben hier insgesamt ein stringenteres, in sich schlüssigeres System.

Problem Nummer 1: Das morphologische Chaos. Dieses entsteht dadurch, dass der Konjunktiv I manchmal identisch ist mit dem Indikativ Präsens, dann rutscht der Konjunktiv II an dessen Stelle, der Konjunktiv II wiederum ist manchmal identisch mit dem Indikativ Imperfekt, dann rutscht der Konditional an dessen Stelle. Veranschaulichen wir uns die Zusammenhänge.

Regel 1: In der indirekten Rede wird der Konjunktiv I verwendet
Er sagt, sie schreiben ein Buch.

=> Konjunktiv I ist identisch mit dem Indikativ Präsens, folglich wird Regel 2 verwendet.
Regel 2: Ist der Konjunktiv I identisch mit dem Indikativ Präsens, wird der Konjunktiv II verwendet.
Er sagt, sie schrieben ein Buch.

=> Konjunktiv II ist identisch mit dem Indikativ Imperfekt, folglich wird Regel 3 verwendet.
Regel 3: Ist der Konjunktiv II identisch mit dem Indikativ Imperfekt, wird der Konditional I verwendet.
Er sagt, sie würden ein Buch schreiben.
Regel 4: Für alle diese Regeln interessiert sich kein Schwein, es ist alles möglich.
Letztlich sind sowohl im gesprochenen wie im auch geschriebenen Deutsch alle Formen zu finden, man kann einen Konjunktiv II finden, obwohl schon der Konjunktiv I eindeutig wäre, einen Indikativ, obwohl ein Konjunktiv hingehört und eine Substitution durch den Konditional, obwohl es einen Konjunktiv gibt.

Er sagt, sie schreiben ein Buch.
Er sagt, sie schrieben ein Buch.
Er sagt, sie würden ein Buch schreiben.
Regel 5: "Korrekt" benutzt wird der Konjunktiv I nur bei einigen hochfrequenten Verben, die ein klares Muster haben und eventuell in der dritten Person Singular, hier unterscheidet sich der Konjunktiv I fast immer vom Indikativ.
hochfrequente Verben

Er sagt, er sei ein Halsabschneider.

3. Person Singular
Er sagte, dass Carmen in die Schule gehe.

Problem Nummer 2: Die korrekte chronologische Abfolge

Hierbei handelt es sich um ein Problem, das uns später noch beschäftigen wird. Das Deutsche kann in der indirekten Rede nicht klar zwischen Gleichzeitigkeit und Nachzeitigkeit unterscheiden.

Er sagte, dass er es mache.


Hier ist nicht klar, ob er es in dem Zeitpunkt macht, wo er es sagt oder später. Im Deutschen muss man über Adverbien oder adverbiale Bestimmungen differenzieren.

gleichzeitig: Er sagte, dass er es gerade mache.
nachzeitig: Er sagte, dass er es gleich mache.

Im Italienischen ist die chronologische Abfolge, bis auf einen Fall, immer geklärt, wir werden das italienische System der Zeitenfolge noch ausführlich betrachten.

Problem Nummer 3: Konditional und Konjunktiv sind im Deutschen zu einem System verschmolzen

Da unter bestimmten Bedingungen der Konditional auch bei normativer Sichtweise, für die sich kein Schwein interessiert, den Konjunktiv ersetzen kann, ist deutlich, dass der Konditional und der Konjunktiv im Grunde zu einem System verschmolzen wurden, in der indirekten Rede wie auch in Konditionalsätzen. Ob der Konjunktiv oder der Konditional gewählt wird, ist allein eine Stilfrage, hängt lediglich davon ab, wie gestelzt der Konjunktiv II klingt. Empfindet der Sprecher ihn als gestelzt, verwendet er den Konditional.

Ich spräche mit ihm, wenn er nicht so stur wäre.
Ich würde mit ihm sprechen, wenn er nicht so stur wäre.
Ich würde mit ihm sprechen, wenn er nicht so stur sein würde.

In den romanischen Sprachen sind der Konjunktiv und der Konditional nicht zu einem System verschmolzen, beide haben deutlich unterschiedliche Funktionen.




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